Simulation ist mehr als Software

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Strukturmechanische Simulation beim Weltmarktführer für Fahrzeugkrane

FEM-Simulationen in der Kranentwicklung bei Liebherr

Der zweite Teil der Serie über die Bedeutung von Simulation im Liebherr-Werk Ehingen (LWE) widmet sich der Strukturmechanik oder auch FE-Analyse zur Ermittlung von Festigkeit und Verformung. Ein Themenfeld, das von maßgeblicher Bedeutung für die effiziente Entwicklung der Hochleistungskrane ist. In Teil 1 und 3 werden die Simulation an sich und das Thema CFD näher beleuchtet.

Gewicht runter, Leistung rauf

Eine ständige Aufgabe der Entwickler ist die Gewichtsreduzierung. Ein geringes Eigengewicht ist nicht nur beim Transport von Vorteil. Es begünstigt auch die Länge der Ausleger, da beim Aufrichten nur das Eigengewicht und nicht die Nutzlast maßgeblich ist.

Außerdem steigert die Reduzierung des für die Kranstruktur belastenden Eigengewichtsanteils die Tragkraft. Unterstützt wird das Leichtbauziel durch neuartige Materialien. Stahlhersteller entwickelten schweißbare Feinkornbaustähle mit immer höheren Festigkeiten.

Ein interessanter Trend für LWE. Immerhin bedeutet die Verdoppelung der Stahlfestigkeit eine Halbierung des Gewichts der geschweißten Struktur! In der Folge sind die Stahlkonstruktionen immer dünnwandiger geworden, trotz der geforderten hohen Belastbarkeit.

200
Tonnen
Traglast erreichte ein 8-achsiger mobiler All-Terrain-Kran im Jahr 1982.
650
Tonnen
Traglast erreicht der gleich schwere Nachfolger aus dem Jahr 2021. Simulation macht es möglich.

Stabilitätsfragen

Die vorwiegend druckbelasteten, eher dünnwandigen Stahlkonstruktionen sind sehr stabilitätsgefährdet - Berechnungen der Statik daher unumgänglich. Typische physikalische Phänomene sind Biegeknicken, Plattenbeulen und Schalenbeulen. Meist sind geschlossene analytische Berechnungen höchstens in einzelnen Standardfällen durchführbar.  

Wenn es um die Berechnung und den Nachweis von stabilitätsgefährdeten Stahlbaugruppen geht, ist die numerische Simulation mittels FEM eine enorme Erleichterung. LWE setzt hier auf professionelle Software von Ansys in Verbindung mit der Beratung von CADFEM.

Bild: Hochgenaue Simulation des Beulverhaltens an einem Kranausleger, durchgeführt mit Ansys Mechanical.

 Joachim Henkel Berechnungsingenieur und Leiter Statik, Liebherr-Werk Ehingen GmbH
Joachim Henkel
Berechnungsingenieur und Leiter Statik, Liebherr-Werk Ehingen GmbH

Die Ergebnisse der Berechnung zeigen, dass man durch diesen Ansatz dem wirklichen strukturmechanischen Verhalten des Gesamtkrans sehr nahekommt.

Simulation unverzichtbar

Joachim Henkel ist Leiter Statik im Liebherr-Werk Ehingen:

„Wie unverzichtbar für uns Ansys-FEM-Berechnungen bei der Gewichts- und Steifigkeitsoptimierung von Baugruppen sind, zeigt der Teleskopausleger der All-Terrain-Krane. Als bevorzugte Querschnittsform im Teleskopauslegerbau hat sich das von Liebherr patentierte `Oval-Profil´ erwiesen. Es lässt sich verhältnismäßig einfach fertigen und hat ein äußerst günstiges Verhältnis von Gewicht zu Tragfähigkeit.“

„Voraussetzung für die Verwendung der neuartigen Profilform im Teleskopkranbau war allerdings ein zuverlässiges Konzept für die Berechnung der dünnwandigen Schalen auf Basis von FEM. Zudem erforderte die hohe Imperfektionsempfindlichkeit einen hohen Qualitäts- und Fertigungsstandard. Das Optimum dieser patentierten Querschnittsform ließ sich nur durch unzählige Variantenrechnung mittels FEM in Ansys erreichen.“

Herausforderung Strukturmechanik

Bei LWE sind 80 % der Herausforderungen, für die Simulationssoftware eingesetzt wird, strukturmechanischer Natur. Joachim Henkel beschreibt die Anforderungen, die er und sein Team bei LWE an moderne Simulationssoftware hat:

„An erster Stelle steht die einfache Bedien- und Erlernbarkeit, gefolgt von der Schnelligkeit und Realitätsnähe der Berechnungen. Der Trend geht eindeutig dahin, mehrere angrenzende Hauptbaugruppen in einem FE-Modell zu simulieren. Diese sind über Kontaktrandbedingungen miteinander verbunden. Das verlangt Leistung, die Ansys erbringt. Die Ergebnisse der Berechnung zeigen, dass man durch diesen Ansatz dem wirklichen strukturmechanischen Verhalten des Gesamtkrans sehr nahekommt. 

Für die genaue und sichere Auslegung der Drehverbindung zwischen Unter- und Oberwagen am Kran ist es beispielsweise notwendig, das Steifigkeitsverhaltenen der jeweils angrenzenden Hauptbaugruppen, nämlich Unterwagen und Drehbühne, zu berücksichtigen. Das geschieht dadurch, dass die Drehverbindung mit allen Trag-, Halte- und Radialbahnen inklusive Laufrollen sehr wirklichkeitstreu modelliert werden. Ebenso die angrenzende Stahlstruktur des Unterwagens und der Drehbühne. Ansys meistert dies vorbildlich.“

Ansys bei LWE

Die Geometrieaufbereitung erfolgt in der Regel mit Ansys SpaceClaim oder dem DesignModeler. Hiermit wird aus den vorhandenen CAD-Daten eine reduzierte Außengeometrie herausgearbeitet. Detailpunkte (z. B. an Lasteinleitungsbereichen) bleiben ggf. als Volumenmodell erhalten, um dort genauere Auswertungen durchführen zu können.

Anschließend erfolgt die Berechnung in Ansys Mechanical. Um möglichst schnell viele Lastfälle berechnen zu können, beginnt man mit einer linearen Berechnung. Anschließend werden ausgewählte Lastfälle geometrisch und materiell nichtlinear tiefer untersucht..

00:04 minDie Untersuchung des Beulverhaltens ist bei dünnwandigen Strukturen eine wichtige Ingeneiursaufgabe.

Um die Notwendigkeit weitergehender Beuluntersuchungen vorab zu ermitteln, nutzt LWE ein Tool, welches eine lineare Beuluntersuchung nach Norm (EC 1993-1-5) innerhalb der Workbench als Extension zur Verfügung stellt. Sind tatsächlich zusätzliche Beuluntersuchungen notwendig, wird zur Aufbringung der Imperfektionen eine mit CADFEM entwickelte ACT-Extension eingesetzt. Darüber hinaus sind auch Spezial-Untersuchungen möglich wie z. B. die Berechnung der Drehverbindung von Unter- und Oberwagen, der Bodenplatten oder der Belastung der Scharniere.

00:17 minBewegungsberechnung der Kette des Raupenkrans mit dem Modul für Mehrkörpersimulation Ansys Motion.
Ansys Motion: Analyse des Rollverhaltens der Kette

Ansys Motion hilft bei der Berechnung des Abrollverhaltens der Kette über die Umlenkrollen oder über die Antriebsräder eines Raupenkrans. Ebenso bei einem Raupenfahrwerk zur Belastungsermittlung der Laufrollen oder dem Verhalten einer freihängenden Kette.  

Einschätzung verlangt

Immer wieder erreichen das LWE-Simulationsteam um Joachim Henkel Anfragen von Kunden und von der internen Qualitätssicherung zur Einschätzung von Schäden bezüglich des Stabilitätsverhaltens. Insbesondere an den Diagonalrohren des Auslegers von Gittermastkranen. Die bisherige Herangehensweise war entweder eine exakte 3D-Nachmodellierung des defekten Rohres oder der Austausch des defekten Stabes, um jegliche Zweifel auszuräumen. Beides ist sehr zeitaufwendig und damit kostenintensiv.

Die Lösung fand sich in einer angepassten Erweiterung in Ansys. Dazu wurde ein geometrisch und materiell nichtlineares Berechnungsmodell erstellt, welches sich besonders durch einen zügigen Berechnungsablauf auszeichnet. Das Stabilitätsverhalten wurde anhand der europäischen Knickspannungslinien nach den Normen DIN 18800-2 und EN 1993-1-1 verifiziert, welche aus real durchgeführten Versuchen entstanden sind.

Kombination Ansys / Excel

An dem so verifizierten Modell ist anschließend mit den quasi-kollapsaffinen Imperfektionsformen eine vereinfachte lokale Beule erzeugt worden, die ebenfalls parametrisch in Form und Lage am Rohr variieren kann. Studien zeigen, dass die entstehenden Abminderungen der Traglast besonders durch die Lage und Größe der Beule sowie von der Schlankheit des Gesamtsystems beeinflusst werden.

Um dem LWE eine schnellere Beurteilung des Einzelfalls zu Verfügung zu stellen, wurde ein eigenes Programm entwickelt, welches die Beurteilung schadhafter Rohre an den betreffenden Gitterrohren über das gesamte Spektrum ermöglicht. Die Datengrundlage bildet eine Datenbank aus 7.452 berechneten Einzelergebnissen. Die Variation der Parameter ist dabei so gewählt, dass eine lineare Interpolation zwischen den Ergebnissen toleriert werden kann.

Die Erzeugung, Auswertung und Prüfung der erzeugten Datenmengen erfolgte weitestgehend automatisiert durch eine Interaktion zwischen Ansys und dem Excel-Programm. Die schnelle Bewertung des Stabilitätsverhaltens von Gitterrohren mit lokalen plastischen Verformungen ist somit im Rahmen des für LWE benötigten Spektrums gewährleistet.

Joachim Henkel
Berechnungsingenieur und Leiter Statik, Liebherr-Werk Ehingen GmbH

Prognosen über die Zuverlässigkeit und Haltbarkeit einer mechanisch stärker beanspruchten Krankomponente während der Nutzungsdauer eines Krans, sind ohne numerische Simulation reine Kaffeesatzleserei.

Ansys grundlegend notwendig

Joachim Henkel beurteilt den Nutzen von Ansys als Simulationswerkzeug im Bereich Statik als grundlegend:

„Ansys versetzt uns erst in die Lage, Leichtbau am Kran zu betreiben. Ohne Leichtbau kein wettbewerbsfähiges Produkt und ohne Simulation kein Leichtbau. Die Herausforderungen, die sich aus den immer leichter werdenden und somit dünnwandigeren Stahlstrukturen ergeben, sind effizient nur mit numerischer Simulation beherrschbar. Prognosen über die Zuverlässigkeit und Haltbarkeit einer mechanisch stärker beanspruchten Krankomponente während der Nutzungsdauer eines Krans, sind ohne numerische Simulation reine Kaffeesatzleserei."

"Durch die immer leistungsfähigeren Ansys-Simulationsprogramme und die steigende Rechenleistung der Systeme können wir ebenfalls immer detailliertere Berechnungsmodelle erstellen, die dem tatsächlichen mechanischen Verhalten sehr nahekommen und somit Prognosen über die Einsatztauglichkeit absolut zuverlässig machen."

Der erste Teil der Serie gibt einen Gesamtüberblick über die Simulation im Liebherr-Werk-Ehingen.

Lesen Sie im dritten Teil unserer LWE-Serie, wo und wie Strömungssimulationen die Zeitspanne bis zur Marktreife entscheidend verkürzen.  

Liebherr Werk Ehingen GmbH
www.liebherr.com

Autor: Thomas Löffler
Bilder: © Liebherr
Veröffentlicht: Juni 2022

Kontakt CADFEM

Enterprise Account Manager