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Dr. Zimmer, FEM-Wegbereiter bei Daimler-Benz

Erinnerung an Dr. Alfred Zimmer, der 2020 100 Jahre alt geworden wäre

Vordenker und Wegbereiter der FEM im Automobilbau

Ende der fünfziger Jahre begann bei Daimler-Benz in einem stillen Kämmerlein die Entwicklung der FEM (Finite Elemente Methode). Damit wurde eine spannende Ära gestartet, die es auch nach über 60 Jahren wert ist, noch einmal beleuchtet zu werden. Denn die Ideen von Dr. Alfred Zimmer revolutionierten die Konstruktion bei Daimler-Benz.

Firmen wussten nichts mit Computern anzufangen

Dr. Alfred Zimmer war Vordenker und Wegbereiter für den FEM-Einsatz in der Automobilentwicklung. Dadurch wurde er auch Ideengeber für viele andere Branchen: Hoch- und Tiefbau, Brückenbau, Kran-Konstruktionen, Schiffbau, Metallbau und Medizin, um nur einige zu nennen. Lediglich die Luft- und Raumfahrtindustrie setzte bereits zu Beginn der 60er Jahre FEM-Berechnungsverfahren ein.

Zu dieser Zeit wurde am Samstagvormittag in den Betrieben noch gearbeitet. So wählte IBM Samstagnachmittage, um in Sindelfingen (kleines Hochhaus) für Computerinteressierte erste Lehrgänge anzubieten, die von der Gewerkschaft bezahlt wurden. Dort standen den willigen Schülern die ersten Großrechner IBM 650 zur Verfügung.

Die Großfirmen interessierten sich zu dieser Zeit nur spärlich für diese Art von Weiterbildung der Beschäftigten. Sie wussten zunächst nichts mit einem Computer anzufangen. Bei Daimler-Benz im Betrieb wurde Dr. Zimmer mal klar zu verstehen gegeben: „Wir bauen schließlich Autos und keine Computer“. Außerdem war man der Meinung, „vier Großcomputer“ würden eine längere Zeit den Bedarf der Industrie in Deutschland abdecken können. Wie hatte man sich da doch getäuscht!

Zu jener Zeit war der Einsatz elektronischer Rechenanlagen den großen Forschungsinstituten der Universitäten vorbehalten, deren Leistungsstand 1965 vom Institut für Luft- und Raumfahrt (Prof. Argyris), der damaligen Technischen Hochschule Stuttgart demonstriert wurde. In dieser Zeit begann in der PKW-Vorentwicklung bei Daimler-Benz (K1V) in Stuttgart der Berechnungsingenieur Dr. Alfred Zimmer, von Hause aus Bauingenieur, mit der Programmierung eines Berechnungsprogramms für räumliche Rahmen, das er RB (Rahmen-Berechnung) nannte. Bei Daimler-Benz war gerade der erste technische wissenschaftliche Rechner, die IBM 650, durch den Nachfolger, die IBM 1620, ersetzt worden.

Speicher mit sagenhafter Kapazität von 6 Kilobyte

Dieses neue Werkzeug – eine volltransistorisierte Anlage mit sagenhafter Speicherkapazität von 6 KB Hauptspeicher, programmierbar im Assembler – arbeitete mit einem Lochkarten-Lese-Stanzer und einer Tabelliermaschine. Seine Feuertaufe bestand das RB-Programm gleich zweimal. Zuerst bei der Berechnung des Rahmenbodens vom W 100 (dem legendären Mercedes-Benz 600, Bauzeit 1964 bis 1981). Zum ersten Mal wurden nach zehn Stunden Rechenzeit die Messergebnisse derart genau bestätigt, dass die Versuchsabteilung, die die Messungen durchgeführt hatte, von Datendiebstahl ausging. Der zweite wichtige Praxistest war die Fahrt der englischen Königin Queen Elizabeth II mit ihrem Mann Prinz Philip bei einem Staatsbesuch 1966 in München in der neuen Staatskarosse W 100, dem 600-Pullmann-Landaulet, der mit dem neuen RB-Programm berechnet worden war.

Ab 1963 wurden die ersten Karosserieberechnungen mit gemischten Modellen aus Stab- und Flächenelementen durchgeführt. Dies waren zum einen der Auto-Union F 102 und bald danach der erste Audi 100, zu einer Zeit, als Auto-Union noch zu Daimler-Benz gehörte. Um mehr Vergleichswerte durch Messungen und Berechnungen zu bekommen, erfolgte ein Nachberechnung des Sportwagens W 113 „Mercedes-Benz 230 SL“. Dabei wurde besonders die noch heute im Einsatz befindliche Methode der Gewichts-Steifigkeitsoptimierung nach der Formänderungsarbeits-Methode erprobt und sehr bald erfolgreich eingesetzt. Auch die Berechnung des ersten Omnibus erfolgte nach diese Methode.

Karosseriemodell mit 319 Knoten und 443 Elementen

Für den Computer IBM 360 entwickelte Dr. Zimmer mit sechs weiteren Programmierern das FORTRAN-Programm ESEM (Elasto-Statik-Element-Methode). Den ersten wichtigen Einsatz hatte ESEM im Jahr 1967 bei der Entwicklung des W 115 (MB 200-240 D). Dessen Karosseriemodell – gerechnet an einem halben Wagen wegen der Rechenzeitverkürzung – hatte 319 Knoten, 443 Elemente und 1.684 Freiheitsgrade. Dabei bestand das gesamte Dach aus sechs Vierecks- und vier Dreieckselementen. Der Software-Einsatz begann jedoch erst etwa ein Jahr vor Serienanlauf, als es Schwierigkeiten in der Versuchsabteilung mit diesem Fahrzeug gab.

Im Herbst 1969 wurde die Berechnungsabteilung unter Dr. Alfred Zimmer damit beauftragt, die Karosserie des Wankel-Sportwagens C 111 entwicklungsbegleitend zu berechnen. Da zunächst keine Zeichnungen vorlagen, flossen nur die Vorgabe des Vorstands ein: „mit Flügeltüren, Überrollbügel, Antrieb über Drei- oder Vierscheiben-Wankelmotor als Mittelmotor hinter dem Fahrer, Tanks in den Außenschwellern“. Darauf basierend wurden der Achs- und Radstand mit der Fahrzeughöhe von den Verantwortlichen festgelegt. Dann begannen die Berechnungen der Konstruktion und der Bau mitsamt der vorgesehenen Technik. Bis zur Fertigstellung des Prototypen des C 111 dauerte es nur sechs Monate.

ZDF berichtet über die bahnbrechende Vorgehensweise

Diese bahnbrechende Vorgehensweise wurde von der Werbeabteilung IBM durch einen aufwendigen Film begleitet. Dr. Zimmer wurde nach Mainz zum ZDF eingeladen, um im Film seine Methode auch anderen zu präsentieren. Mit diesem Film „Das Auto, das aus dem Computer kam“, der englisch und spanisch synchronisiert wurde, wollte die IBM den Verkauf ihrer Computer ankurbeln.

IBM zeigte den Film den amerikanischen Automobilmanagern mit dem Erfolg, dass sehr schnell die FEM zum Standardwerkzeug der Automobilbauer wurde. In dieser Zeit häuften sich die Vortragsreisen von Dr. Zimmer nach England, Skandinavien und in die USA. Als Leiter der Berechnungsabteilung der PKW-Vorentwicklung hatte Dr. Zimmer Anfang der 1970er Jahre etwa 30 Mitarbeiter, die neben ESEM schon FEM-Standard-Software wie ASKA, NASTRAN und das aus dem ESEM-Entwicklungsteam heraus entstandene Nachfolgesystem TPS10 einsetzten. Mit den Ideen von Dr. Zimmer begann der weltweit systematische Einsatz der Finite-Elemente-Methode in der Fahrzeugentwicklung.

Der Unfall- und Insassenschutz „passive Sicherheit“ spielt eine große Rolle bei Daimler-Benz. Durch die FEM-Simulation konnten viele praktische Crash-Versuche auf ein Minimum reduziert werden. So sparten die Automobilfirmen erhebliche Zeit und viel Geld!

Dieses ist eine gekürzte Fassung eines Artikels von Klaus Zimmer, dem Sohn von Alfred Zimmer

Die Langfassung des Artikels und weitere Infos sind auf seiner Homepage zu finden: www.fem-dtm.com Besonders sehenswert ist der dort verfügbare Film, der auch in Cannes gezeigt und in der Kategorie „Industriefilm“ mit dem ersten Preis ausgezeichnet wurde. Auf dem CADFEM Users Meeting 2008 hielt Peter Groth, ein Kollege von Alfred Zimmer einen Vortrag über die Entwicklung des Sportwagens C111 mit dem Simulationsprogramm ESEM.

© Bilder: privat


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