Simulation ist mehr als Software

Kostenlose Testversion
0
Wunschliste
0 0
Warenkorb

Direktkontakt
DE

Baurechtliche Prüfung einer Spaßbad-Wasserrutsche mit Ansys

Mit Karacho in die Kurve

„Krass!“. Der 13-jährige Jonas hat soeben nicht nur das wilde Rennen gegen seinen Kumpel Finn gewonnen, sondern auch gleich den Tagesrekord aufgestellt. Wir sind im Steiner Erlebnisbad „Palm Beach“, wo die Doppel-Wasserrutsche „Space Race“ seit Kurzem zum Wettkampf einlädt. Die 120 Meter langen kurvigen Kunststoffröhren sind beliebt bei Badegästen jeden Alters und Gewichts und auch darüber hinaus für unterschiedlichste Belastungsszenarien gewappnet. Das bestätigt die vorgeschriebene baurechtliche Überprüfung, die sich auch auf Ansys Simulationsergebnisse stützt.

Das Simulationsmodell der neuen Wettkampfrutsche

Die Dimensionen der neuen Wettkampfrutsche im Steiner Erlebnisbad bei Nürnberg mit einer Höhe von 12 Metern und einer Länge von 120 Metern sind beeindruckend. Was man nicht beim ersten Anblick sieht, aber vom Gesetzgeber aus gutem Grund verlangt wird: Die Attraktion ist sicher. Denn lange bevor der erste Badegast mit Karacho durch die kurvenreichen Röhren ins kühle Nass geglitten ist, wurde die gesamte Anlage umfassenden Prüfungen unterzogen. Bereits während der Entwicklungs- und Bauphase hat sich das Prüfamt für Standsicherheit Nürnberg der LGA (Landesgewerbeanstalt Bayern) mit allen Standsicherheitsfragen der Attraktion eingehend beschäftigt. Aufgrund des hohen Kunststoffanteils beim Bau der Wasserrutsche übernahm zudem mit Dr.-Ing. Ingo Kurzhöfer ein ausgewiesener Experte und Sachverständiger für Kunststofftragwerke und seine Arbeitsgruppe diese Aufgabe.

Grenzzustände der Tragfähigkeit überprüfen

Entsprechend den bayerischen technischen Baubestimmungen (BayTB), vorliegender Verwendbarkeitsnachweise (Zulassungen) und eigener Erfahrungswerte wurden komplexe Vergleichsrechnungen durchgeführt und der Bau der komplexen Rutschenanlage mit ihren unterschiedlichen Konstruktionselementen stichprobenartig überwacht. Zwei getrennte Kunststoffröhren führen zu Beginn steil hinab und werden im unteren Bereich in einen gemeinsamen Rutschenquerschnitt zusammengeführt. Dabei bestehen die Röhren aus glasfaserverstärktem Kunststoff (GFK), als Stützen dienen Stahlpylone. Dazu erklärt Dr. Kurzhöfer: „Unsere Aufgabe war es unter anderem, die Grenzzustände der Tragfähigkeit und Gebrauchstauglichkeit dieses Bauwerkes entsprechend den betreffenden Normen und Regelwerken zu überprüfen, wobei neben Eigenlasten, Wind- und Schneelasten, natürlich auch die Einwirkungen aus den rutschenden Personen zu berücksichtigen sind. Dies konnten wir durch ein Ineinandergreifen von Simulation, Materialprüfung und Überwachung sowohl in der Bauphase absichern. Die Belastbarkeit der getroffenen Annahmen wird auch zukünftig während des Betriebs durch unabhängige Dritte überwacht.“

00:53 minWettkampfstimmung im Palm Beach

Die Planer der Wasserrutsche hatten sich schon frühzeitig darum gekümmert, dass sie einen zulässigen Prüfer finden, der sich sowohl mit Kunststoffen als auch mit Simulation gut auskennt. Ein zusätzlicher Vorteil bei der Überprüfung der Rutschenanlage war es, dass sowohl auf der planerischen Seite als auch beim Prüfer alles aus einer Hand kam. So konnten auftretende Fragen schnell und eindeutig geklärt werden, ohne lange nach verantwortlichen Ansprechpartnern für die verschiedenen Elemente wie Fundamente, Pylone und Rutschenelemente suchen zu müssen, um Details zu klären.

Mit Simulation kann man schön inszenieren und ausprobieren

„Als Prüfer müssen wir sehr viele unterschiedliche Belastungen der Pylone berücksichtigen, speziell dann, wenn die beiden Rutschenrohre jeweils sowohl oben als auch unten an den Pylonen fixiert sind“, berichtet Dr. Kurzhöfer. „Die Laststellungen richten sich danach, wer gerade wo rutscht, welche Zentrifugalkräfte sich durch die Rutschenden ergeben und was passiert, wenn ein Stau in einer oder beiden Rutschenröhren entsteht. Zusätzlich sind natürlich immer das Eigengewicht sowie Wasser-, Wind- und Schneelasten zu beachten. Mit Simulation kann man da schön inszenieren und die unterschiedlichsten Lastfälle einfach mal etwas ausprobieren, zum Beispiel wo sich Beulen bilden könnten. Außerdem kann man schauen, was passiert, wenn hier oder da etwas an den Pylonen oder Rohraufhängungen modifiziert wird.“

Der erfahrene Bauwerksprüfer ist sich sicher, dass ohne Simulationen eine solche Prüfung kaum machbar ist. Um im Zeitrahmen zu bleiben, würden die Verantwortlichen nach einigen groben Abschätzungen dann wahrscheinlich eine Überdimensionierung wählen, damit sie immer auf der sicheren Seite sind. Das würde aber mehr Material bedeuten und höhere Kosten verursachen. Auch die Prüfung anhand von versuchstechnischen Untersuchungen wären bei den Dimensionen einer solcher Doppelrutsche viel zu aufwendig. Den Nutzen der Simulation haben auch die Planer der Wasserrutsche erkannt und diese zur Auslegung und Optimierung der Rutschenanlage sowie zur Vermeidung von Überdimensionierungen eingesetzt.

Aufgabe ohne Simulationslösungen kaum machbar

„Bei unserer Prüfung der Gebrauchstauglichkeit geht es unter anderem um Deformationskriterien, dass beispielsweise keine Steigung beim Hinabrutschen auftreten darf“, erläutert Dr. Kurzhöfer. „Wir prüfen auch, welche Seile der Rohraufhängung wie belastet werden und wo die stärksten Belastungen entstehen, oder ob Spanungsspitzen durch bauliche Veränderungen abgefangen werden müssen. Ebenso müssen Temperaturabhängigkeiten und Längendehnungen immer im Blick bleiben, genauso wie Alterungsprozesse. Diese aufwendigen Untersuchungen benötigen viel Erfahrungswissen und sind heute ohne Simulationslösungen kaum machbar, jedenfalls nicht in den vorgegebenen Zeitspannen.“

Die Überprüfung der Wasserrutsche hat insgesamt knapp ein halbes Jahr gedauert, beginnend im September 2021 mit den Fundamenten für die Stahlpylonen und der gesamten Bauüberwachung. Und schon im Februar 2022 erfolgte die Fertigstellung der Rutschenanlage und dann auch schon bald die Inbetriebnahme. Besonders gefreut über die neue Attraktion haben sich die jüngeren Badegäste, die nun im Wettkampf den Wasserspaß genießen können. Auch das Bäderunternehmen, in den Vorjahren unter Corona-Schließungen sehr gelitten, freute sich ab Frühjahr 2022 über jeden Badegast, der von der Wettkampfrutsche begeistert ist.

LGA - Prüfamt für Standsicherheit Nürnberg
Dr.-Ing. Ingo Kurzhöfer
Sachverständiger für Kunststofftragwerke
Ingo.Kurzhoefer@lga.de

Autor: Gerhard Friederici (CADFEM Germany)
Bilder: © LGA Nürnberg,
Ingo Kurzhöfer, Markus Weise
Veröffentlicht: April, 2023

Kontakt CADFEM

Leiter Vertrieb Grafing