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Die frühen Jahre der CADFEM GmbH

Günter Müller, CADFEM Gründer: FEM hat mich mein Leben lang begleitet

Die frühen Jahre der CADFEM GmbH

1941 wurden die Computer von Konrad Zuse (Z3) in Deutschland und von Eckert und Kilby in den USA erfunden. Auf dem Nachfolgerechner Z4 konnte Professor Stiefel von der ETHZ in Zürich bereits Differentialgleichungen lösen. Ich wurde 1944 geboren.

Studium an der Technischen Hochschule Stuttgart | 1963 - 1970

Nach dem Abitur begann ich 1963 das Studium des Bauingenieurwesens an der Technischen Hochschule Stuttgart (seit 1967 Universität Stuttgart). Zu dieser Zeit gab es für Kinder aus einfachen Verhältnissen nicht die Wahl eines Studienortes. Studiert wurde, wenn überhaupt, an einer nah gelegenen Hochschule und dort ein Fachgebiet, das halbwegs zu den Neigungen des Kindes passte. Ich hatte gerne mit dem Märklin-Baukasten gespielt, war also prädestiniert für das Bauingenieurwesen.

Im Studium habe ich Vorlesungen über Prinzipien der Mechanik (J. Bernoulli, …), über Differentialgleichungen (Navier; …) und über Variationsverfahren (Leibniz, …) gehört. Erwin Stein vom Institut für Baustatik führte 1968 eine neue, anspruchsvolle Vorlesung über Tensor-Algebra ein, bei der ich einer von drei Teilnehmern war. Die Vorlesung vermittelte mir Grundkenntnisse für meine Diplomarbeit, bei der ich – aufbauend auf der Arbeit von Ray Clough, Professor an der University of California, Berkeley, der 1960 den Begriff FEM prägte – ein FE-Programm zur Berechnung einer Scheibenstruktur erstellte.

Wissenschaftlicher Assistent, Institut für Baustatik, Universität Stuttgart - Visiting Scholar University of California, Berkeley | 1971 - 1977

1970 hat mir Erwin Stein eine Stelle als Wissenschaftlicher Assistent angeboten, so dass ich mich während der Assistentenzeit von 1970 bis 1976 mit Arbeiten der Mathematiker des 20. Jahrhunderts beschäftigen konnte, die den mathematischen Hintergrund der FEM – die Variationsrechnung – erschlossen haben. Ritz, Galerkin, Trefftz und Courant entwickelten numerische Verfahren zur Lösung von Variationsaufgaben, konnten ohne Computer aber nur Aufgaben mit wenigen Unbekannten lösen. In meiner Dissertation ging es darum, die Trefftz-Methode im Sinne der FEM zu diskretisieren und auf Mehrfeldbereiche zu erweitern.

Die Zeit von Mitte 1976 bis Ende 1977 durfte ich, gefördert durch ein Stipendium der DFG, als Visiting Scholar an der University of California, Berkeley, verbringen. In Vorlesungen, bei Forschungsarbeiten und Fakultätstreffen hatte ich Kontakt zu Ray Clough, Edward Wilson und anderen weltweit bekannten Wissenschaftlern auf dem Gebiet der FEM. Mein Betreuer war Professor Alex Scordelis, der FEM-Methoden für Schalentragwerke erforschte.

Tätigkeit bei IKOSS und Control Data | 1978 - 1982

Nach der Rückkehr aus den USA war ich 1978 kurze Zeit bei der IKOSS GmbH als Berechnungsingenieur angestellt, wechselte aber nach wenigen Monaten zur Control Data GmbH. Die Control Data Corporation (CDC) war führender Anbieter von Großcomputern (Mainframe) für technisch-wissenschaftliche Anwendungen und bot Rechenleistung im Timesharing-Betrieb an. Meine Aufgabe bestand darin, Kunden in der Anwendung einer Vielzahl von FEM-Programmen wie TPS-10, STARDYNE, ASKA, MARC, ADINA, ABAQUS und ANSYS zu unterstützen.

1979 wurde mir die Stelle als Distriktleiter Professional Services angeboten, die es erforderte, mit der Familie von Stuttgart nach München umzuziehen. Die Tätigkeit war anspruchsvoll und gut vergütet, aber die Firma war vom Erfolg verwöhnt und hat die Entwicklung von Minicomputern verpasst. Da ich befürchtete, dass CDC keine Zukunft hat, kam ich auf die Idee, mich selbständig zu machen. An Weihnachten 1981 rief ich John Swanson an, ob er jemanden für Marketing, Vertrieb und Support für sein Programm ANSYS in Europa bräuchte. John antwortete kurz "yes". Auf meine Frage, was ich tun müsse, war die Antwort: "You have to leave your company".

Ingenieurbüro für computerunterstützte Berechnung im Bauwesen und Maschinenbau Günter Müller | 1982 - 1985

Das tat ich dann auch und startete im Mai 1982 im häuslichen Büro in Grafing bei München das Ingenieurbüro für computerunterstützte Berechnung im Bauwesen und Maschinenbau. Mir war bewusst, dass ich mit der Kündigung meines gut bezahlten Jobs bei CDC ein Risiko eingegangen bin. Ich musste eine Familie mit zwei kleinen Kindern ernähren, da meine Frau als beamtete Gymnasiallehrerin aus Baden-Württemberg an bayerischen Gymnasien nicht unterrichten durfte.

Haupttätigkeit meines neuen Ingenieurbüros war es, als ANSYS Support Representative (ASR) die Firma Swanson Analysis Systems, Inc. (SASI) mit lokalem Marketing, Vertrieb und Support zu vertreten. Weltweit gab es nur sechs ASR in Nordamerika und drei in Europa. Stewart Morrison war für Großbritannien verantwortlich, Hervè DeBaecker für Frankreich und ich kümmerte mich um Deutschland, die Schweiz und Österreich und um andere Länder im restlichen Europa.

In dieser Anfangszeit wurden mir Multitasking-Fähigkeiten abverlangt, denn ich musste neben Vertrieb, Support, Schulung, Projektarbeiten auch administrative Aufgaben erledigen. Dabei wurde ich von meiner Frau und einer Bekannten unterstützt. Einen „richtigen Computer“ konnte ich mir noch nicht leisten, das Geld reichte nur zur Anschaffung eines Apple mit 16 kByte Speicher (zum Preis von 11.000 DM), den wir für administrative Tätigkeiten nutzten. Freundlicherweise wurden mir für Seminare und Präsentationen Terminals von Tektronix und Rechner von Prime tageweise zur Verfügung gestellt. Seminare über Einführung in FEM, Dynamik, ANSYS Informationstage, Nichtlinearitäten, Superelemente und Wärmeleitung konnte ich selbst übernehmen. Für neue Themen wie Optimierung und Magnetostatik kamen John Swanson und Peter Kohnke von SASI zu Hilfe. Zu dieser Zeit war ich zu Präsentationen und Seminaren, auch außerhalb Deutschlands, viel unterwegs – in der Schweiz, in Österreich, mehrfach in Italien, in Norwegen, Finnland, Rumänien, Serbien und Ägypten.

Die Zeit war reif für eine erstes Kundentreffen. Ich wählte als Thema „ANSYS Theory“. Vortragender war Peter Kohnke von SASI, der, aufgrund deutscher Wurzeln, auch etwas Deutsch sprach. Knapp 30 Teilnehmer hatten sich im Oktober 1982 im Gasthof Kreitmair in Keferloh bei München eingefunden. Im Biergarten wurde beschlossen, sich in Zukunft jährlich zu treffen. Ein erstes Anwendertreffen (Users‘ Meeting) mit rund 30 Teilnehmern wurde 1983 in Herrsching am Ammersee abgehalten. Dem folgten – mit wachsendem Erfolg und ohne Unterbrechung alljährlich weitere.

CAD-FEM Gesellschaft für computerunterstützte Konstruktion und Berechnung mbH | Die ersten zehn Jahre 1985 - 1995

1985 erweiterte John die Aufgaben der Vertriebspartner und bezeichnete sie als ANSYS Support Distributoren (ASD) ein. Sie durften jetzt ANSYS exklusiv in ihrem Vertriebsgebiet in eigenem Namen anbieten. Dies hatte zur Folge, dass ich eine Firma, die CAD-FEM GmbH, gründen musste. CAD-FEM, damals noch mit Bindestrich geschrieben, da vorgesehen war, sowohl CAD- als auch FEM-Dienstleistungen anzubieten. Den CAD-Bereich übernahm mein Partner, Otto Jandl, der aber nach kurzer Zeit die Firma wieder verließ und zu seinem früheren Arbeitgeber, dem Max-Planck-Institut, zurückging.

CAD-FEM bezog ein Büro im Gewerbegebiet von Ebersberg in der Nähe von München und investierte in einen eigenen Rechner, eine MicroVAX II mit 2 MB Hauptspeicher für 100.000 DM und ein Tektronix 4014 Terminal für 40.000 DM. Die Kommunikation erfolgte per Telefon, TELEX und über das neu angeschaffte Telefax-Gerät. Angebote, versehen mit Broschüren, wurden stapelweise zur Post gebracht. Die Navigation während der Autofahrten zu Kunden und Interessenten erfolgte mit dem Shell-Atlas auf dem Schoß. 1985 wuchs der Umsatz bereits auf 1,15 Millionen DM (608.000 €) und wir hatten 50 Kunden. Diese wurden auf einer Wandkarte von Europa mit Stecknadeln markiert.

Neben ANSYS wurden im Laufe der Jahre auch komplementäre Programme angeboten, darunter FLOTRAN (Strömungsmechanik), BEMAP, SYSNOISE, COMET (Akustik), C-MOLD (Spritzgusssimulation), ADAMS, SIMPACK (Mehrkörpersysteme), und MAKE-FATIGUE (Betriebsfestigkeit). Seit Gründung der Firma LSTC in Livermore, durch John Hallquist im Jahr 1987, war CAD-FEM auch Distributor der Software LS-DYNA für hochdynamische, explizite Berechnungen.

Getreu dem Statement von John Swanson – „we don’t sell software, we license technology“ – wurde viel Wert auf die Schulung der Anwender gelegt und auf Projektarbeit, wodurch wir eigene Erfahrungen beim Einsatz der Software sammeln konnten. Im Laufe der Jahre wurde das Seminarangebot ständig erweitert, so dass wir vom Herbst 1995 bis Sommer 1996 rund 30 Themen und mehr als 70 meist mehrtägige Seminare zählten. Seminare wurden auch für Veranstaltungen von Hardwarefirmen, Hochschulen und Weiterbildungsinstitute wie der Technischen Akademie Esslingen und dem Haus der Technik in Essen durchgeführt.

1992 erschien beim expert Verlag auch der erste Band von „FEM für Praktiker“, auf den – dank der Mitwirkung der Kollegen Clemens Groth und Uli Stelzmann – weitere drei Bände folgten. So konnte die Anwendung der FEM auf Strukturmechanik, Dynamik, Wärmeleitung und elektromagnetische Felder behandelt werden.

Zu Marketingzwecken wurde 1989 der erste Infoplaner veröffentlicht, der halbjährlich über Neuigkeiten (Info) und Termine von Veranstaltungen und Seminaren (planer) informierte.

1993 zählte die Firma 20 fest angestellte Mitarbeiter, 8 freie Mitarbeiter sowie 8 Aushilfen und erwirtschaftete einen Umsatz von rund 11 Millionen DM (5,5 Millionen €). Geschäftsstellen eröffneten wir 1990 in Stuttgart, 1991 in Hannover, 1993 in Berlin und 1995 in Chemnitz.

Im Ausland wurde CAD-FEM repräsentiert

  • in Malters (Schweiz) durch die Firma SEFAG und Herrn Wuest (1990),
  • in Moskau durch Juri Ryasnov (1990),
  • in Brno für Tschechien und die Slovakai von SVS FEM (1991) und
  • in Polen durch MESco (1994).

Die 1995 in Aadorf, Schweiz, gegründete CAD.FEM AG löste die Vertretung in Malters ab. Geschäftsführer und Teilhaber wurde Markus Dutly, der seit 1987 als freier Mitarbeiter der CAD-FEM GmbH in Grafing und später in Wien den Vertrieb der Software ANSYS unterstützte.

John Swanson verkauft seine Firma SASI, Inc. | 1993

Die Firma SASI hatte sich stark entwickelt. Jährlich kamen neue Versionen auf den Markt. 1993 erschien Version 5. Sie wurde komplett neu geschrieben mit einer neuen Datenstruktur und vielen Neuentwicklungen. Dazu gehörte die gemeinsame Datenbank für Pre - und Postprozessoren, Boole´sche Operationen, Unterstützung der Eingabe durch "Control Panels", Video-Output und Animation, automatische adaptive Vernetzung, Fehlernormen, automatische Laststeigerung, große Dehnungen und Rotationen, Kontaktflächen, hyperelastisches Material und Strömungsmechanik sowie Schnittstellen. Der Umsatz von SASI stieg 1992 auf rund 30 Millionen US-Dollar, die Mitarbeiterzahl auf etwa 150. Die Zahl der ANSYS Support Distributoren lag bei 35 und die kommerziellen Installationen bei 2.500 sowie 1.600 Hochschulverträge.

Völlig überraschend erhielt ich im Oktober über unser Faxgerät – typisch für John – eine kurze Nachricht: "I sold my company, John". Das hat eingeschlagen! Ich hatte gerade einen Mietvertrag für zehn Jahre für ein Büro in Grafing unterzeichnet. Und für den nächsten Tag war zusammen mit Ralph Donahue von SASI ein Treffen bei Siemens KWU zur Vertragsverlängerung von ANSYS angesetzt. Auf dem Weg zu Siemens diskutierten wir, wie wir die neue Botschaft überbringen sollten. Zu unserer großen Überraschung nahm der Manager von Siemens die Nachricht positiv auf: "TA Associates, der Investor, ist ein renommiertes Unternehmen!“

Die Übernahme von SASI durch TA Associates wurde 1994 abgeschlossen, und 1996 ging das in ANSYS, Inc. umbenannte Unternehmen an die Börse. Als einem der wichtigsten ASD besuchte mich Jacqueline Morby von TA-Associates 1994 in München, um mir die zukünftige Richtung nahe zu bringen. Es war eine große Veränderung in der Kultur. Ein neues Management kam an Bord: Peter Smith als CEO und Klaus Schlemper für die Leitung Europas. Wir, die ANSYS Support Distributoren, mussten neue Vereinbarungen mit vierteljährlichen Verkaufszielen unterschreiben und wurden jetzt ANSYS Channel Partner genannt.

Die Jahre nach SASI

Wir ASD waren besorgt über unsere Zukunft. Über die Jahre hatten sich enge Freundschaften entwickelt und das Treffen in Houston bei SASI war ein jährlicher Höhepunkt. Für uns war es eine große Freude, für Johns Firma, Swanson Analysis Systems, Inc., zu arbeiten. Um über Möglichkeiten einer weiteren Zusammenarbeit zu diskutieren, organisierten wir über mehrere Jahre Treffen. Ein erstes mit den europäischen ASDs CADFEM, ITALCAE, STRUCOM und A&Z fand 1994 in Rom statt.

Beim Treffen 1998 in Lugano kamen wir zu dem Entschluss, eine Firma zu gründen, die entweder als genereller Anbieter von Expertise und Software für die Simulation oder einfach als Institution für die Organisation eines Netzwerks von CAE-Experten aus Industrie und Universitäten fungieren könnte. Die Firma, Technology Network Alliance AG, besteht heute noch und ist seit 2000 hauptsächlich mit der Organisation von halbjährlich stattfindenden Treffen der TechNet Alliance, beschäftigt, einem globalen Netzwerk von Experten der numerischen Simulation aus Industrie und Wissenschaft.

Es dauerte einige Jahre, bis sich die ASD an die neue Situation gewöhnt hatten. Erst im Jahre 2000 mit Jim Cashman als CEO von ANSYS verbesserte sich die Stimmung deutlich. Durch intensive Programmentwicklung, Zukäufe und verstärkte Marketing- und Vertriebsaktivitäten ist der Umsatz von ANSYS, Inc. stark gewachsen. Die Zukäufe hatten zur Folge, dass ANSYS in mehreren Ländern heimisch wurde, durch FLUENT und CFX auch in Deutschland.

Mit der Gründung der ANSYS Germany GmbH war die CADFEM GmbH nicht mehr exklusiver Anbieter von ANSYS. Der Markt wurde 2006 grob in die Bereiche Strukturmechanik und Strömungsmechanik aufgeteilt. CADFEM wurde zum FEM- Kompetenzzentrum erklärt und ANSYS Germany zum CFD-Kompetenzzentrum.

2018 unterzeichnete CADFEM einen neuen langjährigen Partnervertrag mit ANSYS, der das Auftreten im Markt regelt. In diesem Vertrag sind auch die CADFEM (Suisse) AG und die CADFEM (Austria) eingeschlossen.

Autor
Dr.-Ing. Günter Müller, Gründer CADFEM GmbH und geschäftsführender Gesellschafter der CADFEM International GmbH

© Bilder: privat

 


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