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Tech Article | 23/02

Strom statt Gas für höhere Energieeffizienz

Es gilt weitläufig „Never change a running system“, aber wie soll man ein System verbessern, wenn man es nicht ändern darf? Sicherlich haben konventionelle Verfahren ihre historisch gewachsene Daseinsberechtigung, aber es kann sich lohnen, den Status Quo zu hinterfragen, um funktionierende Prozesse noch weiter zu verbessern und/oder Kosten zu sparen!

Ein laufender Prozess mit G(l)as

Vielleicht haben Sie es gerade neben sich auf dem Tisch stehen: Ein Glasflasche mit einem Getränk. Dieses Glas, welches Ihr Getränk davor bewahrt, sich über dem gesamten Tisch zu ergießen, wurde einst in einer Glashütte produziert. Dazu werden passende Rohstoffe (z.B. Quarzsand) oder auch Glasscherben aus Altglascontainern auf sehr hohe Temperaturen über dem Schmelzpunkt gebracht und letztlich zu einer homogenen Masse eingeschmolzen. Kleine Portionen dieser Schmelze werden in Abgussformen gebracht und darin zum einen in ihre finale Form gebracht und zum anderen dabei auch wieder auf Raumtemperatur abgekühlt.

Um diese hohen Temperaturen innerhalb der Glasschmelze zu erreichen, werden fossile Energieträger verbrannt und die freigesetzte thermische Energie wird über Konvektion und Strahlung auf das Glas übertragen. Dieser Prozess funktioniert schon seit Jahrhunderten mit Kohle/Koks und in großindustriellen Anlagen heutzutage vornehmlich mit Gas. Nun ist es aber kein Geheimnis, dass diese fossilen Energieformen immer knapper und dementsprechend teurer werden – ganz abgesehen von den negativen Umweltbeeinflussungen. Es müssen also Optimierungspotenziale ausfindig gemacht werden, um den Prozess effizienter zu machen…

Kann Strom das Gas ersetzen?

Eine sehr effiziente Erwärmungsmöglichkeit in Fertigungsprozessen bietet sich durch elektrische oder elektromagnetische Leistungsbereitstellung. Hierbei können Leistungen sehr zielgenau und ohne große thermische Verluste in das zu erwärmende Bauteil eingebracht werden. Insbesondere in der metallverarbeitenden Industrie haben sich derartige Prozesse bereits ihren Anteil gesichert und verbreiten sich darüber hinaus allmählich.

Gegenüber Metallen hat Glas einen nicht ganz unwichtigen Nachteil: Bei Raumtemperatur ist die elektrische Leitfähigkeit von Glas so gering, dass eine Erwärmung über elektrische und elektromagnetische Quellen nicht funktioniert. Allerdings wird Glas ab einer hohen Temperatur von grob 1000°C zu einem Ionenleiter. Die elektrische Leitfähigkeit liegt damit weiterhin deutlich unter der von Metallen, aber es reicht, um einen elektrischen Stromfluss zu gewähren und damit letztlich direkt über elektrische Leistung Wärme im Glas umzusetzen.

Die eindeutige Antwort auf die Frage “Kann Strom das Gas ersetzen?” lautet somit: Jein! Es braucht nach wie vor einen Startprozess, welcher über eine Gasflamme realisiert wird. Sobald ein elektrischer Strom aufgebaut ist, KÖNNTE der Prozess grundsätzlich allein mit elektrischer Energie gefahren werden: Neue kalte Materialien werden über Wärmeleitung aufgeschmolzen und wenn der Prozess kontinuierlich gefahren werden kann, wäre es theoretisch denkbar. Aber es gibt ja auch noch Dinge wie “Wartung”, “Chargenwechsel”, “Störungen” usw., die einem einen Strich durch die heile elektrische Welt machen.

Elektrisch oder nicht elektrisch…

… das könnte hier die passende Frage sein. Wenn Sie an Ihrem Prozess Ort und Art der Leistungseinbringung verändern, dann ändert sich natürlich auch die Temperaturverteilung und diese Temperaturverteilung ist letztlich prozessbestimmend. Allerdings stellt sich dazu wiederum die Frage, WIE sich die Temperaturverteilung ändert.

Gerade in hoch aggressiven Glasschmelzen gestaltet sich eine Messung mit Thermoelementen und/oder Strömungsmessgeräten allerdings schwierig. Um zu analysieren, inwieweit sich das Temperaturprofil und damit auch der Prozess bei veränderter Leistungseinbringung verhalten, eignet sich aber die numerische Simulation. Damit lassen sich an jedem Ort zu jeder Zeit die skalaren und vektoriellen Größen auswerten – und das sogar ohne die Beeinflussung, die durch die Einbringung eines Messinstruments passieren würde. Außerdem beeinflussen sich Elektrik und Temperatur gegenseitig, weshalb die Simulation gekoppelt ausgeführt werden sollte, um brauchbare Ergebnisse zu generieren.

Elektrisch oder Thermisch? Nein, Beides!

Der hier erwähnte Prozess umfasst also sowohl elektrische als auch thermische Effekte, die sich darüber hinaus gegenseitig beeinflussen. Wärmestrom aus einer Gasflamme in Zusammenarbeit mit elektrischen Verlusten der Stromzuführung bestimmen das Temperaturfeld. Zur Erfüllung all dieser Anforderungen bietet Ansys das „Coupled Field“-Systems mit den dafür nötigen Randbedingungen und Lasten.

Übrigens: Gegenüber dem „Thermal Electric“-System bieten die „Coupled-Field“-Systeme zusätzlich die Berücksichtigung eines Massentransports… oder die Analyse von mechanischen Effekten … oder die Berücksichtigung von Akustik-Phänomenen. Einfach innerhalb der Physics-Region die Domänen der eigenen Wunschliste anwählen und Los geht’s!

Apropos Kopplung: Innerhalb der Simulation unterscheidet man zwischen schwacher Kopplung und starker bzw. Matrix-Kopplung. Bei einer schwachen Kopplung arbeiten die Teildisziplinen sequenziell. In unserem Beispiel werden die elektrische Matrix gelöst und die Verlustleistungsdichte ausgewertet. Diese Leistungsdichte ist anschließend die Eingangsgröße für die thermische Berechnung. Das Temperaturfeld wird berechnet und zur Anpassung der Materialdaten an die Elektrik zurückgegeben. Bei einer starken Kopplung sind die jeweiligen Abhängigkeiten in der Matrix eingebaut, weshalb GLEICHZEITG eine konvergente Lösung für beiden Teildisziplinen erreicht werden muss.

Nun gilt es also, unter Berücksichtigung aller gegenseitigen Beeinflussungen und Effekte das bestmögliche Verhältnis aus konventioneller und elektrischer Erwärmung zu bestimmen. Mittels eines Demonstrator-Modells lassen sich dazu qualitative Studien durchführen, die Zusammenhänge zwischen Input- (Temperatur Gasflamme, Massenstrom des Glasses, Elektrische Spannung an den Elektroden) und Output-Größen (Temperatur am Abgusspunkt, Leistung Gas, Leistung Elektrik) ermitteln.

Schulwissen in der Praxis!

Die Einbringung der Wärmeenergie aus der Gasflamme passiert über Strahlung und Konvektion. Der dritte Anteil über Leitung darf meist vernachlässigt werden. Gerade bei komplexeren Strukturen kann es durch den Strahlungssolver zu langen Berechnungszeiten kommen. Ein kleiner Tipp: Abhilfe schafft hier eine temperaturabhängige Konvektionsrandbedingung, die die „normale“ Konvektion und die Strahlung berücksichtigt. Nach dem Newton-Gesetz ist die Wärmestromdichte bei Konvektion: q=αΔϑ. Beim Stefan-Boltzmann-Gesetz sieht der Zusammenhang so aus, wenn ein Strahlungsaustausch mit anderen Flächen vernachlässigt werden darf: q=σε∙(T- TU4 ) – mit T als absolute Temperatur.

Die gesamte Wärmestromdichte ist die Summe aus beiden parallel zueinander wirkenden Mechanismen. Greift man nun auf sein Schulwissen zurück und erinnert sich an die „3. Binomische Formel“, dann erkennt man:

q=σε∙(T- TU 4 )=σε∙(T2 + TU 2)∙(T- TU2 )

Nutzt man dieses Vorgehen noch einmal, so erhält man:

q=σε∙(T- TU4 )=σε∙(T+ TU2 )∙(T + TU)∙(T - TU )

Die letzte Klammer stellt damit die Temperaturdifferenz dar, wie sie auch im Newton-Gesetz vorkommt. Der gesamte Faktor davor würde somit als effektiver, temperaturabhängiger Konvektionskoeffizient fungieren, um Strahlungseffekte zu berücksichtigen.

Für unseren simplen Demonstrator verwenden wir einen Wärmestrom zur Beschreibung der Gasleistung, einen exemplarischen Verlaufsweg des eingebrachten Materials bis zum Abgusspunkt und vier Elektroden: Zwei mit Pluspotenzial, zwei mit Nullpotenzial. Die Außenseiten des Ofens sind Dank der guten Wärmeisolation vergleichsweise kalt, weshalb eine Strahlungsrandbedingung nicht nötig ist; hier wird lediglich eine einfach Konvektionsrandbedingung verwendet, die allerdings in Abbildung zur Wahrung der Übersicht nicht aufgeführt ist.

Quod erat demonstrandum!

Nun suchen wir also das ideale Verhalten von Gas und Strom und fangen dazu am besten mit den Extrema an, bei welchem je ein Teil komplett abgeschaltet ist. Ziel ist eine Temperatur am Abguss von 1400 °C.

Während bei der Gasleistung aufgrund der örtlichen Nähe zur oben wirkenden Gasflamme eine frühere Erwärmung in Durchlaufrichtung eintritt, arbeitet die elektrische Energie insbesondere an dem kritischen Ort des Abgusses. Integral werden allerdings gleiche Leistungen benötigt, um das Glas auf die nötigen 1400°C zu bringen.

Mittels einiger Parametervarianten ergibt sich in dem durch die Extrema abgesteckten Raum zum Erreichen der 1400°C folgende Leistungsbilanz:

 Leistungsanteile in MW
Gasleistung7,514,413,452,411,240
Elek. Leistung01,573,075,086,277,52
Gesamtleistung7,517,517,487,467,517,52

An dieser Stelle sei erwähnt, dass sonstige Verluste der Wärmebereitstellung nicht berücksichtigt sind und lediglich die für die Erwärmung bereitgestellte Leistung definiert wird. Während in Realität der Strom geringe Zuleitungsverluste aufweist, macht die über den “Schornstein” verlorene Leistung der Gasflamme einen erheblichen Anteil aus.

Letztlich zeigt sich: Dem Temperaturfeld ist es gleichgültig, ob die Erwärmung mittels Gas oder Strom durchgeführt wird, solange in Summe die gleiche Leistung in der Schmelze ankommt. Daraus ergibt sich, dass der Anwender den jeweiligen Anteil an Gas und Strom zwar prozesstechnisch frei wählen kann, allerdings müssen aus wirtschaftlicher Sicht natürlich alle Wirkungsgrade von der Primärenergie bis zur Nutzenergie berücksichtigt werden. Bei den enormen Preisschwankungen auf dem Energiemarkt liegt hier ein riesiges Einsparpotenzial – und diese Einsparung ließe sich schnell in einige der Getränkeflaschen umrechnen, von welchen vielleicht immer noch eine auf Ihrem Schreibtisch steht.

Autor

Application Engineer

Veröffentlicht: Juli 2023

Redaktion
Dr.-Ing. Marold Moosrainer
Head of Professional Development

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